Multiple Sklerose (MS)

Multiple Sklerose, auch Encephalitis disseminata (ED) genannt, ist eine Immunerkrankung, bei der der Körper sein eigenes Nervengewebe im Gehirn und Rückenmark angreift. Es entstehen Entzündungsherde an den betroffenen Stellen, die im weiteren Verlauf verhärten (sklerosieren).

Erfahren Sie in diesem Artikel alles zum Thema Multiple Sklerose: Was ist Multiple Sklerose und welche Symptome treten dabei auf? Definition, Zahlen, Anzeichen, Diagnose, Verlauf & Lebenserwartung, Behandlungsmöglichkeiten im Überblick. Und vieles mehr…

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (ICD-10 CODE: G35) ist eine Autoimmunerkrankung. Das heißt der Körper greift sein eigenes Gewebe an, in diesem Fall die Myelinscheide (elektrisch isolierende äußere Schicht der Nervenfasern), was zur Entzündung und zur Verhärtung (Sklerosierung) der betroffenen Markscheide führt und dadurch zur verlangsamten Signalweiterleitung. Diese Schädigung kann an den verschiedensten Stellen im Gehirn (typisch im Bereich um die Liquorräume) und/oder im Rückenmark auftreten. Aufgrund dieser verteilten (disseminierten) Entzündungen im zentralen Nervensystems (Encephalitis) wird gelegentlich auch von einer Encephalitis disseminata (ED) gesprochen. 

MS ist die häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems und tritt meist in jüngeren Jahren (20-40 Jahre) und vermehrt bei Frauen auf (Verhältnis zu Männern 3:1). Es gibt ca. 2 Millionen Erkrankte weltweit (WHO 2008) und ca. 200.000 Erkrankte in Deutschland (Petersen et al. 2014).

Was ist Multiple Sklerose?
Bei Multipler Sklerose (MS) wird das zentrale Nervensystem von körpereigenen Zellen angegriffen. Dies führt zu Entzündungen und Verhärtungen (Sklerosierung) im Gehirn und Rückenmark.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die isolierende Schicht der Nervenfasern (Myelinschicht) wird durch das Immunsystem (weiße Blutkörperchen, T-Zellen) angegriffen und in der Folge zerstört (Demyelinisierung von Axonen). Dadurch kommt es in weiterer Folge zu einer fehlgeleitenden Immunabwehr, wodurch Entzündungsherde (hauptsächlich in der weißen Substanz) hervorgerufen werden. Die Nervenleitung, also die Weitergabe von Informationen, vom und zum Gehirn wird dadurch verlangsamt.

Dieser Prozess führt in Abhängigkeit des Schädigungsortes zu unterschiedlichen klinischen Symptomen:

  • Großhirn: Muskelschwäche (Paresen), Störung der Berührungs- oder Tiefenempfindung (Sensibilitätsstörungen), pathologisch erhöhter Muskeltonus (Spastik), kognitive Störungen, Depression, Müdigkeit
  • Kleinhirn: Sprechstörungen, Balancestörungen, Koordinationsstörungen, Tremor (rhythmisches Zittern der Muskulatur), Schwindel
  • Hirnstamm: Temperaturempfindungsstörungen, Lähmung, Doppelbilder
  • Rückenmark: Hauptempfindlichkeitsstörung, Muskelkrämpfe, Muskelschwäche (Parese), Querschnittslähmung, Blasen- & Mastdarmstörungen, Sexualstörungen (Impotenz, verminderte Libido, verminderte Sensibilität)


Weitere klinische Symptome der Multiplen Sklerose:

  • Sehnerv-Entzündung (Optikusneuritis)
  • Anfallsartige (paroxysmale) Phänomene und unwillkürliche Bewegungen:
    • Motorisch: Muskeltonuserhöhung (Spasmen/Dystonie), Sprechstörung (Dysarthrie), Koordinationsstörungen (Ataxie), Myokymie (kurze tetanische Kontraktion im Skelettmuskel), Myoklonus (segmentale, rasche, unwillkürliche Muskelzuckungen)
    • Sensibel: Nervenschmerzen (Neuralgien), Empfindungsstörung (Parästhesien) wie das Lhermitte-Symptom (Parästhesien am Nacken bei passiver Beugung des Kopfes), Juckreiz (Pruritus)
    • Verschiedene: epileptische Anfälle, pathologisches Lachen und Weinen, imperativer Harndrang
  • Schluckstörung (Dysphagie)
  • Fatigue (Müdigkeits-/Erschöpfungszustand, der in keiner Relation zur vorangegangenen Aktivität steht)
  • Augenbewegungsstörung (Auswirkungen: Doppelbilder, Nystagmus)
  • Uthoff-Phänomen: eine kurzzeitige Verschlechterung der Nervenleitung bei erhöhter Körper- oder Außentemperatur, die sich z.B. in der Zunahme einer Sehstörung (so von Uthoff beschrieben), Lähmung oder einer sensiblen Störungen zeigt.

Abhängig von Ort und Ausmaß der Schädigung können unterschiedliche Symptome auftreten. Häufig sind Muskelschwäche (Parese), erhöhter Muskeltonus (Spastik), Sensibilitätsstörungen, Koordinations- und Balancestörungen. Typisch für MS sind Fatigue (anhaltender Erschöpfungszustand) sowie eine Verschlechterung der Symptome bei Erhöhung der Körper- oder Außentemperatur (Uthoff-Phänomen).

Erste Anzeichen einer Multiplen Sklerose

Häufig zeigt sich eine Entzündung der Sehnerven (Optikusneuritis) als Erstsymptom von Multipler Sklerose. Nachdem sich die Symptome dieser Entzündung meist nach ein bis zwei Wochen von selbst wieder zurückbilden, geht die Mehrheit der Betroffenen nicht zum Arzt. Die Optikusneuritis wird somit, vor allem durch ihre kurze Dauer, in vielen Fällen übersehen. 

Symptome der Sehnerv-Entzündung:

  • meist einseitige Visusminderung „wie durch Nebel oder Milchglas“
  • (Bewegungs-)Schmerz im oder hinter dem Auge
  • Störung der Farbwahrnehmung (v.a. rot) und des Kontrastsehens
  • Reduktion der Pupillenreaktion
  • innerhalb von Stunden bis Tagen zunehmend
Erste Anzeichen einer Multiplen Sklerose
Visusminderung, Störung von Farb- und Kontrastsehen sind Anzeichen einer Sehnerv-Entzündung.

Erste Abhilfe beim Auftreten von Symptomen

Besuchen Sie bei plötzlichem Auftreten einer Sehstörung (erste Anzeichen) oder anderer Symptome (Muskelschwäche, etc.) umgehend einen Arzt. Es muss sich nicht immer um eine Multiple Sklerose handeln, jedoch ist das plötzliche Auftreten neurologischer Symptome immer als Notfall zu betrachten, was einen Arztbesuch unerlässlich macht.

Beim Auftreten von Symptomen im Rahmen eines Schubes (bei bekannter MS), verständigen Sie bitte den behandelnden Neurologen. Höchstwahrscheinlich wird eine Schubtherapie (Medikamentöse Therapie / Behandlung) notwendig sein. Sollten Sie durch den Schub Ihre Gehfähigkeit oder Fahrtüchtigkeit verlieren, starten Sie bitte keine Eigenversuche, sondern benachrichtigen Sie Angehörige oder die Rettung, um zum Neurologen oder ins Krankenhaus zu gelangen.

Bei Verstärkung der Symptome (bei bekannter MS) durch übermäßige Hitze oder Sport (Uthoff Phänomen) hilft es, durch Auflage von Eis oder Coolpacks den Körper zu kühlen. Dadurch sollten die Symptome nach einigen Minuten oder Stunden wieder vergehen.

 

Diagnose: Multiple Sklerose

Da die Symptome der Multiplen Sklerose sehr vielseitig sein können und die Diagnosestellung sehr komplex ist, bedarf es einem erfahrenen Neurologen und einigen Untersuchungen, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können. Folgende Untersuchungen sind zumeist Bestandteil im Diagnoseprozess: 

  • genaue Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese)
  • klinisch-neurologische Untersuchung
  • Magnetresonanztomographie (MRT)
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) durch Lumbalpunktion
  • evozierte Potentiale (Messung der Nervenleitfähigkeit)

Wichtig bei MS ist die Differentialdiagnose (Abgrenzung zu anderen Erkrankungen). Können andere Erkrankungen als Ursache für die Symptome ausgeschlossen werden, helfen spezielle Kriterien (McDonald Kriterien) bei der Sicherung der Diagnose einer Multiplen Sklerose. Nach bereits erfolgter Diagnosestellung dient die EDSS (Expanded Disability Status Scale) als klinische Skala zur Einteilung des Schweregrads der MS.

Diagnose: Multiple Sklerose

Im MRT zeigen sich kleine punktförmige Läsionen. Das MRT allein reicht jedoch nicht zur sicheren Diagnosestellung.

McDonald Kriterien 

Diese Kriterien dienen den Ärzten zu einer früheren und verlässlicheren Diagnosestellung der MS. Hierbei werden räumliche und zeitliche Verteilung (Dissemination) von Schüben und Läsionen unter Berücksichtigung zusätzlicher Untersuchungen herangezogen. Das Fortschreiten der Expertise sowie die immer besser werdenden bildgebenden Verfahren (MRT) ermöglichten die neue, verbesserte Revision der McDonald Kriterien im Jahr 2017 (Thompson et al. 2018).

EDSS (Expanded Disability Status Scale)

Die EDSS dient als klinische Skala zur Beurteilung des Schweregrads der MS. Die Skala reicht von 0 bis 10 Punkten, wobei diese in 0,5er Schritten ansteigt. 0 Punkte definiert hierbei eine normale neurologische Untersuchung; eine steigende Punktezahl korreliert mit steigender körperlicher Beeinträchtigung (Marks 2008).

Einige Auszüge aus der ESDSS (Marks 2008):

  • 0 normale neurologische Untersuchung in allen Funktionssystemen
  • 5,0 ohne Hilfe und Pause gehfähig für 200 m, Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivität zu beeinträchtigen; volle Arbeitsfähigkeit nicht mehr möglich
  • 7,0 unfähig, mehr als 5 m trotz Hilfe zu gehen - weitgehend an den Rollstuhl gebunden
  • 8,5 weitgehend für den Großteil des Tages ans Bett gebunden

Der Diagnoseprozess bei MS ist komplex und oft langwierig, da zuerst andere Erkrankungen als Ursache der Symptome ausgeschlossen werden müssen. Ist dies geschehen, unterstützen spezielle Kriterien (McDonald Kriterien) die sichere Diagnosestellung. Nach gesicherter Diagnose dient der EDSS (Expanded Disability Status Scale) zur Beurteilung des Schweregrades.

Ursachen für Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung bei der der Körper sein zentrales Nervensystem (1. Motoneuron = Rückenmark und Gehirn) angreift, was zur Entzündung und zu Plaques (fleckförmige Veränderungen) an den betroffenen Stellen führt. Die genaue Ursache (Ätiologie) für die Entstehung dieses Prozesses ist jedoch noch unklar.

Es gibt jedoch einige Faktoren, die bei der Entstehung (Pathogenese) der Erkrankung eine wichtige Rolle spielen (multifaktorielle Entstehung).

Da die MS eine Autoimmunerkrankung ist, d.h. der Körper greift sich selbst an, hat das Immunsystem wohl eine zentrale Bedeutung. Genauer gesagt wird bei der MS die Markscheide (Myelinschicht) der Nervenfasern durch T-Zellen angegriffen und zerstört (Demyelinisierung der Axone), was zu einer fehlgeleitenden Immunabwehr führt. Dadurch werden Entzündungsreaktionen hervorgerufen und Informationen vom und zum Gehirn zu langsam weitergeleitet.

Dies kann durch diverse Untersuchungen (Diagnostik) nachgewiesen werden und führt je nach Ort und Ausmaß der Schädigung zu unterschiedlichen Symptomen.

Ursachen für Multiple Sklerose
Bei MS werden die Nerven durch Zellen des Immunsystems angegriffen, wodurch die Markscheide (Myelinschicht) beschädigt wird (rechtes Bild).

Aufgrund der Entstehung (Pathogenese) ergeben sich unterschiedliche Hypothesen über die Ursache (Ätiologie) der MS, die das Immunsystem betreffen. Diese Hypothesen müssen allerdings erst genauer erforscht und untersucht werden. Derzeit gibt es Überlegungen zu Infektionen, Hygiene oder Darmbakterien als Ursache.

Die MS ist zwar keine klassische Erbkrankheit, eine gewisse genetische und örtliche Prädisposition (abhängig vom Breitengrad - Risikofaktoren) kann aber beobachtet werden. Dies führt zur Annahme, dass der Vitamin D Stoffwechsel eine Rolle spielt. Ob ein kausaler Zusammenhang besteht, muss jedoch erst erforscht werden.

Risikofaktoren für Multiple Sklerose

Faktoren, die bei der Entstehung der Multiplen Sklerose eine zentrale Rolle spielen, können im weitesten Sinne als Risikofaktoren betrachtet werden (Ursachen für MS). Da die Ursache der MS noch nicht geklärt ist, können allerdings keine Angaben zu spezifischen Risikofaktoren getroffen werden.

Bereits aus Beobachtungen und aktuellen Statistiken bekannt, ist ein Zusammenhang zwischen steigendem MS Risiko und steigendem Breitengrad. Äquatorfernere Bürger haben dabei ein höheres Risiko an MS zu erkranken, als jene die in Äquatornähe wohnen. Die Inuit (Eskimos) stellen eine Ausnahme dar, vermutlich aufgrund ihrer Vitamin-D-reichen Ernährung. Bei Auswanderern verhält es sich so, dass der Zeitpunkt der Auswanderung eine wesentliche Rolle spielt. Wenn diese vor dem 15. Lebensjahr das Land wechseln, nehmen sie das Risiko des Gastlandes an. Wandern diese später aus, dann wird das Risiko des Ursprungslandes beibehalten.

 

Verlauf/Verlaufsformen der Multiplen Sklerose

Der Verlauf der Multiplen Sklerose ist bei jedem Betroffenen unterschiedlich. Im Groben lassen sich jedoch verschiedene wesentliche Verlaufsformen unterscheiden:

  • Klinisch isoliertes Syndrom (CIS): Hierbei handelt es sich um ein erstmaliges Auftreten neurologischer Symptome durch Demyelinisierung im Gehirn oder Rückenmark. Daraus kann sich eine MS entwickeln, dies muss aber nicht der Fall sein. Treten neurologische Symptome erstmals auf und bei der Untersuchung zeigen sich ebenfalls ältere Läsionen an anderen Stellen oder andere aktive Entzündungsherde, kann man bereits von einer gesicherten MS Diagnose sprechen.
  • Schubförmig remittierender Verlauf (RR): Es kommt zum Auftreten von Schüben in unregelmäßigem, unvorhersehbarem Abstand. Zu Beginn kommt es meist zur kompletten Rückbildung neurologischer Symptome, später häufig nur zur teilweisen Rückbildung.
  • Primär/Chronisch progredienter Verlauf (PP/CP): Dies bezeichnet den Verlauf ohne ein Auftreten von Schüben. Es erfolgt ein schleichender, konstanter Anstieg der Behinderung.
  • Sekundär progredienter Verlauf (SP): Auch dies bezeichnet einen schubförmigen Verlauf, jedoch treten Schübe während konstanter Zunahme der Behinderung auf. In einigen Fällen gehen schubförmig remittierende Verlaufsformen (RR) nach einigen Jahren in einen sekundär progredienten Verlauf (SP) über.


Ein Schub ist ein neurologisches Krankheitszeichen, das

… sich innerhalb von Stunden oder Tagen entwickelt
… länger als 24 h andauert
… in einem Abstand von min. 30 Tagen zum letzten Schub auftritt
… nicht von Fieber oder anderen Infekten begleitet ist

 

Heilungsdauer/Heilungschancen

Die genaue Ursache dieser Autoimmunerkrankung ist bisher noch nicht geklärt (siehe Ursachen für MS). Es besteht die Hoffnung, dass bei Bekanntwerden der Ursache eine Heilung möglich wird.

Wie lange dauert die Behandlung?

Die Behandlung setzt sich aus medikamentöser Therapie und Rehabilitation zusammen. Wie lange die Behandlung dauert ist stark abhängig davon, welche Verlaufsform der MS vorliegt und wie stark sich die körperliche Beeinträchtigung ausgeprägt hat. 

Die einfache Schubtherapie dauert beispielsweise nur 3-5 Tage, wohingegen die verlaufsmodifizierende Therapie (Medikamente, Spritzen, etc.) eine kontinuierliche, lebenslange Behandlung vorsieht. Ähnlich verhält es sich bei der Rehabilitation. Nach einem Schub kann ein Reha-Aufenthalt (stationär, mehrere Wochen) sinnvoll sein. Bei chronisch progredientem Verlauf bietet sich oft eine ambulante Therapie an, die alltagsbegleitend absolviert werden kann.

Langzeitschäden & Lebenserwartung

Grundsätzlich ist es möglich, dass man sich auch nach Auftreten der Symptome wieder vollständig erholt. Die Genesung ist davon abhängig, wie groß die Entzündungsherde bzw. wie stark die Symptome sind, wie rasch und umfangreich die darauffolgende Behandlung ist und in welchem zeitlichen Rahmen die Erkrankung voranschreitet. 

So kann es sein, dass Betroffene unbeeinträchtigt mit Stock, mit Rollator oder mit Rollstuhl durch das Leben gehen. Wie sich der individuelle Verlauf auch immer gestalten wird, die Lebenserwartung wird höchstwahrscheinlich nicht beeinträchtigt sein. Die Lebenserwartung bei MS ist nämlich gegenüber der Normalbevölkerung nur minimal geringer.

Normalerweise verläuft die Multiple Sklerose bei jedem Menschen anders. Sie kann schleichend voranschreiten und/oder sich in Schüben verschlechtern. Konsequente Therapie soll die Selbstständigkeit bei nur wenig verringerter Lebenserwartung erhalten.

Medikamentöse Therapie/Behandlung einer Multiplen Sklerose

Multiple Sklerose: Medikamentöse Therapie/Behandlung
Verschiedenste Tabletten, Spritzen und Infusionen dienen dazu, Entzündungsherde zu behandeln oder deren Entstehung zu vermeiden.


Die medikamentöse Therapie bei Multipler Sklerose hat zwei Standbeine: die verlaufsmodifizierende Therapie und die Schubtherapie. Bei einem akuten Schub bekommt der Patient Kortison (Glukokortikoide: z.B. Methylprednisolon) intravenös für drei bis sieben Tage. Bei schweren Schüben kann eine orale Ausschleichphase über zwei Wochen notwendig sein. Schlägt die Behandlung mit Glukokortikoiden fehl, kann eine Plasmaseparation (Plasmapherese) als Alternative durchgeführt werden.

Verlaufsmodifizierend wird bei klinisch isoliertem Syndrom und bei moderatem schubförmigen Verlauf die immunmodulierende Therapie mit Interferon-beta-Präparaten und Glatirameracetat durchgeführt. Diese Präparate werden unter die Haut gespritzt. Seit einigen Jahren gibt es allerdings auch orale Medikation zur Verlaufsmodifikation bei schubförmiger MS (Dimethylfumarat, Teriflunomid). All diese Präparate wirken entzündungshemmend auf das Immunsystem und können so den Verlauf der Erkrankung hinauszögern.

Patienten, bei denen die Basistherapie nicht ausreichend vor Verschlechterung schützt, und Patienten mit einem hochaktiven schubförmigen Verlauf wird Fingolimod (Tablette) oder Natalizumab (Infusion) verabreicht. Die Präparate dienen dazu, Entzündungszellen in den Lymphknoten bzw. aus dem Gehirn und Rückenmark zu halten. Alternativ ist seit einigen Jahren auch Alemtuzumab (Infusion) zugelassen, das seinen Ursprung in der Behandlung von T-Zelllymphomen fand, da es direkt auf das Oberflächenantigen der immunkompetenten Zellen (u.a. T-Zellen) wirkt.

Unselektive Immunsuppressiva wie Mitoxantron (Infusion) können als Therapieoption zweiter Wahl bei hochaktivem schubförmigen Verlauf oder sekundär progredientem Verlauf angewandt werden.Bei sekundär progredientem Verlauf mit aufgesetzten Schüben kann wieder auf Interferon-beta zurückgegriffen werden.

Die Ziele der medikamentösen, aber auch der rehabilitativen, Therapie sind:

  • aktiven Herd wieder ruhend stellen
  • Krankheitsverlauf hinauszögern
  • Entzündung & oxidativen Stress hemmen
  • neuronales Wachstum fördern

Erfahren Sie mehr zur Rehabilitation bei Multipler Sklerose im nächsten Abschnitt.

 

Rehabilitation bei Multipler Sklerose

Physiotherapie - Ergotherapie – Logopädie

Die Rehabilitation bildet neben der medikamentösen Therapie das zweite Standbein der Wiederherstellung von Funktionsdefiziten, die durch die Multiple Sklerose entstehen. Rehabilitative Maßnahmen sollen die funktionelle Leistungsfähigkeit verbessern, die Selbstständigkeit fördern und die gewohnte Teilnahme am sozialen Leben erhalten. 

Alle Maßnahmen sollen vor dem Hintergrund der chronischen Erkrankung an die jeweilige Situation des Betroffenen (Beruf, Partnerschaft, häusliches Leben, etc.) angepasst werden. Der rezente Paradigmenwechsel in der Therapie empfiehlt den Beginn bereits in einem frühen Stadium (wenn es vom Pateinten erwünscht ist), da die frühzeitige Behandlung die Lebensqualität entscheidend verbessern kann.

Folgende Empfehlungen können für die Therapien (Physio-/Ergo-/Logopädie) gegeben werden:

  • Trainingsintensität 
    • niedrige Intensität & längere Dauer 3-4x pro Woche, 20-30 min.
    • neue Ansätze: erste Studien zu hoch intensivem Training zeigen eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Campbell et al. 2018)
  • Ausdauertraining zur Verbesserung der aeroben Kapazität
  • Widerstandstraining zur Verbesserung der Muskelkraft
  • Förderung des eigenständigen Trainings von Beginn an
  • richtige Wahl zwischen restaurativen (wiederherstellenden) und kompensatorischen Ansätzen
  • psychische Aspekte nicht außer Acht lassen
  • Blasen-/Mastdarm und Sexualstörungen sollen kein Tabu Thema sein, sondern in der Therapie berücksichtigt werden.
  • gemeinsame (interdisziplinäre) Ziele setzen, die sich auf Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) beziehen
  • Therapieziele: wiederholter Planungsprozess durch Zielevaluierung (Assessments) und gegebenenfalls Neuformulierung
  • Kenntnisse über aktuelle Behandlungsmethoden/Forschungsstand sind bei diesem Krankheitsbild besonders wichtig und sollen vom Therapeuten konsequent eingeholt werden.

 

Abhängig von den Symptomen, die durch die MS entstanden sind, können unterschiedliche Therapien indiziert sein. Die Physiotherapie beschäftigt sich vor allem mit dem Wiedererlernen von Funktionen und Aktivitäten. In der Ergotherapie steht der tägliche Einsatz dieser Aktivitäten im Vordergrund. Die Logopädie beschäftigt sich mit Sprach- und Schluckstörungen. Häufig wird jedoch nicht nur eine dieser Therapieoptionen verordnet, sondern gleich mehrere, um auf alle Bedürfnisse des Patienten spezifisch eingehen zu können.

Die Rehabilitation ist unerlässlich, um Funktionen wiederherzustellen. Je nachdem in welchem Lebensbereich die größten Probleme auftreten (Beweglichkeit, Alltag, Sprechen, etc.), kann Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie sinnvoll sein.

Elektrotherapie

Die Elektrotherapie kann im Rehabilitationsprozess in den unterschiedlichen Therapien zur Behandlung verschiedenster Symptome der Multiplen Sklerose eingesetzt werden. Darüber hinaus können manche Elektrotherapiegeräte für die Heimtherapie gemietet werden (wie das STIWELL®) damit die Behandlung nach Einschulung auch ohne den Therapeuten weitergeführt werden kann.

Multiple Sklerose Therapie mit Elektrostimulation

STIWELL® Therapie | Greifen/Loslassen (FES)

Funktionelle Elektrostimulation bei MS

STIWELL® Therapie | Sitzen/Aufstehen (FES)

Die meisten Einschränkungen bei MS resultieren aus der gestörten Signalweiterleitung vom Gehirn über die Nervenbahn zu den Muskeln. Durch die funktionelle Elektrostimulation kann die Signalweiterleitung verstärkt werden und so Symptome, wie z.B. Muskelschwächen (Paresen) behandelt werden. Die EMG-getriggerte Mehrkanal-Elektrostimulation ermöglicht sogar das Wiedererlernen ganzer Bewegungsabläufe, wie z.B. das Greifen oder Gehen.

Biofeedback-Training kann bei MS helfen, die Koordination zu verbessern. Durch das visuelle Feedback wird das Wiedererlernen bei Empfindungsstörungen (Sensibilitätsstörungen) unterstützt. Biofeedback kann auch bei Blasen/Mastdarmstörungen zum Beckenbodentraining eingesetzt werden.

Die Elektrotherapie ist jedoch nicht nur in der frühen Phase sinnvoll einsetzbar. Auch in einer späteren Rehabilitationsphase, wenn die Spastik im Vordergrund steht, kann die Elektrotherapie zur Beeinflussung dieser erhöhten Spannung genutzt werden. Die häufige Wiederholung (Repetition) in einem funktionellen Kontext ermöglicht den Therapieerfolg nach den Prinzipien des motorischen Lernens.

Sollten Sie als Arzt oder Therapeut Interesse an Fortbildungen zur funktionellen Elektrostimulation haben und eine STIWELL® Einschulung direkt in Ihrem Institut oder online wünschen, kontaktieren Sie uns

Informieren Sie sich, wie die funktionelle Elektrostimulation mit dem STIWELL® bei der Therapie von Multipler Sklerose eingesetzt werden kann!

 

STIWELL® Elektrotherapie

Campbell, E., Coulter, E. H., & Paul, L. (2018). High intensity interval training for people with Multiple Sclerosis: a systematic review. Multiple Sclerosis and Related Disorders, 24, 55-63.

Marks, D. (2008). Multiple Sklerose Schweregrad bestimmen. physiopraxis, 6(09), 38-39.

Petersen, G., Wittmann, R., Arndt, V., & Göpffarth, D. (2014). Epidemiologie der Multiplen Sklerose in Deutschland. Der Nervenarzt, 85(8), 990-998.

Thompson, A. J., Banwell, B. L., Barkhof, F., Carroll, W. M., Coetzee, T., Comi, G., ... & Fujihara, K. (2018). Diagnosis of multiple sclerosis: 2017 revisions of the McDonald criteria. The Lancet Neurology. 17(2), 162-173.

World Health Organisation (WHO) and the Multiple Sclerosis International Federation (MSIF). Atlas: Multiple Sclerosis Resources in the World 2008.